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Kolumne: Webvideo = Fernsehen 2.0?

Der oft beschworene Krieg zwischen dem herkömmlichen Fernsehen und den zahlreichen Videoplattformen um die Gunst der Zuschauer, ist längst im vollen Gange. Doch ist es tatsächlich ein Krieg?

Natürlich bieten die Videoplattformen enorme Vorteile. Niemand ist beim Anschauen mehr an eine bestimmte Uhrzeit gebunden. Bei Youtube und bei Vimeo findet man zudem hochwertige Dokumentationen, die so bisher nicht den Weg ins herkömmliche Fernsehen fanden. Erwähnt sei hier nur die Vimeo-Doku über die Geschichte von Christiano Ronaldo, welche von Benedict Cumberbatch erzählt wird, der wiederum als Sherlock-Holmes-Darsteller derzeit weltweit Erfolge feiert. Auch im sogenannten Unterhaltungssektor findet man vor allem auf Youtube inzwischen Formate, die es durchaus wert sind mehr Beachtung zu finden. Als Beispiel seien hier die Jungs von Y-Titty oder Le Floid genannt, welche unter anderem den schon länger etwas angestaubten Stefan Raab locker das Wasser reichen könnten.

An einem durchschnittlichen Tag verzeichnen mehreren Berechnungen zufolge, allein die 50 größten deutschen Youtube-Kanäle zusammen rund 30 Millionen Video-Views. Die höchste bisher gemessene Fernseheinschaltquote liegt bei 32,57 Mio. Zuschauern für eine einzige Fernsehsendung (Fußball-WM-Halbfinale 2014). Aber auch an durchschnittlichen Tagen erreichen alle deutschen Fernsehsender zusammen mehr als 30 Mio. Zuschauer. Die fast schon prähistorische Berechnung der Fernseheinschaltquoten hat aber auch einen Schönheitsfehler. Die Programmabrufe in den, zumeist sendereigenen, Online-Mediatheken und die Views der Senderlivestreams werden in Deutschland nicht in die Zahlen eingerechnet. Davon unabhängig sind, abgesehen von RTL, so ziemlich alle deutschsprachigen Fernsehsender auch seit vielen Jahren auf den wichtigsten Webvideoplattformen mit oftmals mehreren Kanälen vertreten. Lediglich die RTL-Gruppe leistet sich mit Clipfish ihr eigenes Webvideoportal. Die Klicks auf den Portalen werden in die Einschaltquoten ebenfalls nicht eingerechnet.

Ein direkter Vergleich des herkömmlichen Fernsehens mit den Webvideoportalen gleicht natürlich eher einem Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Das Eine beinhaltet eine zeitlich festgelegte Sendeabfolge und das Andere das genaue Gegenteil. Dennoch sind Gegenüberstellungen angebracht, denn der Zuschauer kann sich in der Regel immer nur eine Sache anschauen.

Die durchschnittliche Fernsehnutzungszeit der Deutschen liegt einer aktuellen Studie zufolge bei täglich rund 242 Minuten. Diese Zahl steigt seit Längerem nur noch mäßig an. Die durchschnittliche Online-Nutzungsdauer stieg in den vergangenen Jahren dagegen rasant von 17 Minuten täglich im Jahr 2000 auf tägliche 108 Minuten im Jahr 2013. In den sogenannten werberelevanten Zielgruppen, welche übrigens bereits 1957 völlig willkürlich und sinnbefreit vom US-Fernsehsender ABC erfunden wurden, gehen die Zahlen allerdings sehr weit auseinander. Während in der Gesamtsumme das herkömmliche Fernsehen die Nase klar vorn hat, kehrt sich das Verhältnis bei der Altersgruppe 14 bis 29 beinahe um. 134 Fernsehminuten stehen hier 218 Internet-Minuten gegenüber.
Die gesamte Studie fördert außerdem den interessanten Nebenaspekt zutage, dass 13% der über 70-jährigen Deutschen, Webvideoportale wie beispielsweise Youtube nutzen! Eine Zahl, die ich persönlich sehr viel niedriger geschätzt hätte.

Wer am Ende das Rennen machen wird, ist schwer zu sagen. Das selbst gesteckte Ziel von Youtube bis zum Jahr 2016, weltweit täglich auf eine Milliarde Stunden Nutzungsdauer zu kommen, ist noch in weiter Ferne. Gerade erst veröffentlichten Schätzungen zufolge, liegt man aktuell nur bei rund 300 Millionen Stunden. Das herkömmliche lineare Fernsehen verschmilzt zudem mehr und mehr mit den Online-Angeboten, was an der immer weiter fortschreitenden Technik liegt. Die Verbreitungswege des herkömmlichen Fernsehens haben sich längst grundlegend verändert. Die Online-Angebote stellen außerdem recht oft eine sehr gute Ergänzung zu einzelnen Fernsehsendungen dar.
Was sich weiter verändern wird, sind die Sehgewohnheiten. Programme zu festen Zeiten werden irgendwann der Vergangenheit angehören. Das große, berühmt-berüchtigte Samstagabend-Fernseherlebnis gehört ohnehin schon länger der Vergangenheit an. Fernsehen, womit jetzt ausdrücklich auch das Webvideos anschauen gemeint ist, wird sich weiter individualisieren. Ob das immer von Vorteil ist, sei dahingestellt. Was verschwinden wird, ist das Wir-Erlebnis vor dem Bildschirm. Das was man einst gemeinsam vor dem Fernseher verfolgte, weil man es eben nur zu einer bestimmten Uhrzeit konnte, wird man sich künftig öfter allein vor dem heimischen PC oder Notebook ansehen. Eine wirklich direkte Interaktion mit dem Zuschauer wird zudem bei den Webvideoportalen zukünftig ein ähnlich schweres Unterfangen sein, wie beim herkömmlichen Fernsehen. So wie bei einigen deutschen Youtube-Stars mit rund 1 Millionen Views und mehr pro Video, ist dieses schon jetzt aus reinen Zeitgründen nur noch bedingt möglich.

Letztlich hat beides Vor- und Nachteile. Ein echtes Full-HD-Bild mit seiner ganzen Auflösung und Brillianz kann zum Beispiel bis heute kein einziges Webvideoportal bieten. Wie auch? Dafür wäre eine Datenleitung nötig, die die allermeisten Internetanbindungen schlicht in die Knie zwingen würde. Aber immerhin, bei Vimeo sind inzwischen Audiobitraten bis zu 320 kbps mit 48 kHz möglich, was Studioqualität entspricht.
Andererseits bieten vor allem Youtube und Vimeo so manchen Denkanstoß in Sachen Unterhaltungsformate, die man inzwischen nicht mehr missen möchte. Und auch so mancher Skandal und so manche Aufdeckung wären ohne die Webvideoportale nicht möglich gewesen.

Zum Schluss deshalb noch einmal zurück zur Ausgangsfrage: Ist Webvideo = Fernsehen 2.0? Ja natürlich ist es das, denn letztlich war Fernsehen in erster Linie immer zur Information und Unterhaltung gedacht. Und die Inhalte der Webvideoportale machen schlussendlich nichts anderes.

Beitragsbild: Esther Vargas (Flickr)