YouTuber KWiNK über den Jugendkanal von ARD und ZDF
Man kann es sich kaum noch vorstellen, aber früher waren MTV und VIVA so wichtig wie YouTube für die Jugend heute. Ein öffentlich-rechtlicher Jugendsender sollte endlich wieder eine solche Bastion im Fernsehen schaffen, ohne die Gefahr, in einen reinen Klingeltonwerbungs-Kanal abzugleiten. Stattdessen wurde nun von den Sendern und der Politik beschlossen, einen reinen Internetsender daraus zu machen. Der Schritt wird kontrovers diskutiert, die einen verkaufen es als Erfolg, die anderen meinen eine Niederlage zu erkennen. YouTuber KWiNK hat uns einen Gastbeitrag geschrieben, warum er, der mit Videos zur Jugendkultur auf YouTube bekannt wurde, das Vorhaben dennoch sehr optimistisch sieht.
Der Jugend fehlt ein verbindendes Element
Ich habe Kulturwissenschaft studiert und meine Magisterarbeit 2009 über Jugendfernsehjournalismus geschrieben. Während meiner Forschung zu diesem Thema wurde ich sehr stark darauf aufmerksam, dass der Jugend damals ein verbindendes Element fehlte. MTV hatte den deutschen Musiksender Viva, seine einzige wirkliche Konkurrenz in Deutschland, gekauft und zu einem Billo-Abspielsender umfunktioniert. Auch MTV selbst zog sich immer mehr aus den Themen Musik und Jugendkultur zurück, setzte stattdessen auf billige Reality- und Datingshows, die für Jugendliche unterhaltsam waren, aber keine Identifikationsmodelle boten (mit der willkommenen Ausnahme von “MTV Home“, das nochmal ein paar anarchische Akzente setzte und die Geburtsstunde von Joko & Klaas war). Kraftklub haben in ihrem genialen Song „Zu jung“ sehr cool umschrieben, wie die Jungen es nicht mehr schaffen, eine eigene Stimme zu finden angesichts der kantenlosen Kultur, in der jede Form des Andersseins erforscht und vermainstreamt ist. Der rebellische Geist von Rock und Punk fand kaum noch statt, Hoffnungsträger Hiphop verlor sich in Geste und Gangsta-Gehabe, die Jugend war ohne Richtung und ohne gemeinsame Stimme.
Es gab damals bereits Bestrebungen, die Lücke, die MTVIVA bei ihrem Abschied in die Irrelevanz hinterlassen hatten, mit einem öffentlich-rechtlichen Jugendkanal zu schließen. Der kürzlich verstorbene MDR-Intendant Udo Reiter machte sich sehr dafür stark, bekam aber heftigen Gegenwind von Leuten in der ARD, die einen Jugendkanal für ein reines Unterhaltungsangebot hielten und meinten, mit Sportübertragungen sei ihr Auftrag gegenüber der jungen Zielgruppe erfüllt. Was mich sehr wütend machte und so begann ich damals meine Reihe „Wohin ist die Jugendkultur?“ auf YouTube, um die Standpunkte von Jugendlichen mit humoristischen Mitteln herauszukitzeln, ihnen überhaupt wieder das Gefühl zu geben, einen Standpunkt zu vertreten.
Mit dem Aufkommen der Piratenpartei und dem an Jugendliche gerichtete Digitalsender ZDFkultur sowie dem wichtiger Werden von YouTube dachte ich, wir hätten ein paar wichtige Grenzen überschritten und die Jugend hätte wieder eine Stimme gefunden. Mit meinem 31. Geburtstag beendete ich somit beruhigt die Jugendkultur-Reihe. Die Piraten sind mittlerweile jedoch nur noch ein zerstrittener Haufen und ZDFkultur wurde in dem Moment zum reinen Wiederholungssender umfunktioniert, als die Idee eines gemeinsamen Jugendkanals von ARD und ZDF ernsthaft aufgenommen wurde. Seither warte ich, dass dieser Sender endlich Realität wird, aber die Verantwortlichen schienen die Entwicklung des Projekts eher lustlos und widerwillig voranzutreiben. Zwei Mal wurden ihre Konzepte als „unausgegoren“ zurückgewiesen.
Jugendkanal als Internetangebot
Jetzt endlich ist es so weit, das Konzept steht und der Sender wird kommen – nur nicht als Sender, sondern als Internetangebot. Was nur passend ist, denn die Zielgruppe findet man mittlerweile am besten über das Internet. Zudem wurden einige Schranken für die Öffentlich-Rechtlichen im Netz fallengelassen. Die Beiträge müssen nicht nach sieben Tagen gelöscht werden, sie müssen dafür keinen Drei-Stufen-Test überstehen und sie müssen in ihren Beiträgen nicht auf Beiträge aus dem Fernsehprogramm verweisen. Das heißt, die Öffentlich-Rechtlichen haben hier großes Entfaltungspotential. Ein Problem wird das Urheberrecht werden, wo innovative Lösungen auch in Zusammenspiel mit der GEMA gefunden werden müssen, die hoffentlich ein paar Konzepte überdenkt. Denn Musik, auch wenn sie nicht mehr den super-identitätsstiftenden Status von ehedem hat, ist weiter einer der wichtigsten Teile der Jugendkultur und wird auf diesem Jugendsender ganz massiv stattfinden müssen.
Jugendkanal mit YouTubern
YouTube ist ein anderes Element, das hier sehr starken Einfluss haben wird. Die Webstars haben vielfach den Status übernommen, den früher ausschließlich Musikstars und vielleicht ein paar wenige Schauspieler hatten. Sie sind Vorbilder und Identifikationsfixpunkte geworden. Dieses Jugendangebot, wie es dann auch aussehen mag, wird ganz massiv mit YouTubern zusammenarbeiten müssen, um Relevanz zu gewinnen. Und das kommt zum richtigen Zeitpunkt. Nicht nur, dass Produzenten wie Endemol über Endemol beyond (wo ich angestellt und im Netzwerk bin, ich schreibe hier jedoch nicht als Repräsentant von Endemol beyond) und die UFA über ihre Beteiligung an Divimove auf den YouTube-Markt drängen, auch die traditioneller gebauten Netzwerke wie Mediakraft oder TubeOne produzieren immer mehr selbst und Studio 71 hat als ProSiebenSat1-Tochter ohnehin Profi-Kapazitäten. Sie alle bieten sich damit als Content-Erzeuger für das Projekt an, wo die YouTube-Stars quasi bereits eingebaut sind.
Auch bestimmt YouTube die neuen Sehgewohnheiten und der Jugendsender wird von den YouTubern quasi neu lernen müssen, wie man produziert. Ich rechne fest damit, dass Coldmirror mit ihrer Fernsehsendung als eines der ersten Projekte dorthin verlagert wird. Mit dieser Sendung hat die ARD bereits ein paar Erfahrungen in Interneterzählweise gemacht und hat einige Fehler begangen (Kaddi ist nicht Kaddi, wenn sie in einem gut ausgeleuchteten Studio produziert) und korrigiert. Wir werden hier neben neuen auch ganz viele alte Gesichter wiedersehen, für manchen YouTuber wird es die Chance sein, endlich auf eine feste Basis mit sicherem Gehalt zu wechseln.
Insofern: Es wird nicht einfach, gerade wenn man nicht von Anfang an direkt auf YouTube stattfinden will. Die Jugendlichen müssen die Seite finden, sie für relevant erklären, darüber reden und wiederkehren wollen. Das geht eigentlich nur über bereits populäre Inhalte und Personen (wie YouTuber) und eine hoffentlich anarchische, eigene, regelbefreite Herangehensweise. Der Kanal muss rotzig sein dürfen, wird den Eltern ARD und ZDF auch mal ans Bein pinkeln müssen und sollte vor allem eines sein: Anders. Und identitätsstiftend. Er muss den jungen Leuten aus der Seele sprechen, sich mit ihnen auflehnen und auch mal über die Stränge schlagen. Ich freue mich drauf. Riesig!